Glockenturmzwiebel

Rentner für Rentner


Die Überschrift für den verabredeten Beitrag hat Siegfried Leske gleich selbst parat: „Rentner für Rentner“, sagt er zur Begrüßung und lacht. Für den 90-Jährigen ist das Soziale Herzenssache. Sein Engagement spannt sich vom Eierverkauf über unzählige organisierte Skatturniere bis hin zu den von ihm initiierten Veranstaltungen im einstigen Petit Café in der Ernst-Thälmann-Straße oder im Haus der Senioren. Heinz Florian Oertel, Gojko Mitic, Täve Schur und vielen andere Prominente hat er nach Neuenhagen geholt. Leske kennt Hinz und Kunz, nicht nur in der Gemeinde. Und wenn er erst einmal ins Plaudern kommt, reihen sich die Episoden nur so aneinander. Siegfried Leske ist ein Erzähler und er hat viel zu erzählen.

Geboren 1933 in der Lausitz, zieht die Familie kurz darauf nach Glietzig in Pommern. Die Eltern mit ihren vier Kindern wohnen direkt an der Bahnstrecke Berlin-Stettin-Danzig-Königsberg. Die D-Züge begeistern den Heranwachsenden. Und natürlich will er Lokführer werden. Der Vater muss 1939 in den Krieg, die Mutter bringt die Familie allein durch. Im März 1945 flieht sie mit ihren Kindern vor der nahenden Front. Die Flucht hat sich tief in Siegfried Leskes Gedächtnis eingegraben und ihm kommen heute noch Tränen, wenn er von der Begegnung auf dem Bahnhof Güstrow berichtet. Als seine Mutter dort in einem Gespräch beiläufig sagt, der Krieg sei ja bald vorbei, habe das ein SS-Mann gehört. Und als der gerade die Mutter verhaften will, habe sich ein älterer Herr dazwischen gestellt und gesagt, „die Frau muss sich um ihre vier Kinder kümmern“. Wenn es diesen Mann nicht gegeben hätte …, sagt Siegfried Leske und ist auch nach 80 Jahre tief gerührt.

Der Vater ist Ziegler, hat seinen Beruf in Zehdenick erlernt. Dort hat die Mutter eine Adresse und die Flucht der Familie endet nach dramatischen Tagen in der Stadt an der Havel. Die Familie fasst Fuß. Neben der Schule verschreibt sich Siegfried Leske dem Fußball. 1948 verletzt er sich, zieht sich eine Phlegmone am Unterschenkel zu. Einem Professor in der Charité hat er es letztlich zu verdanken, dass er sein Bein nicht verliert. Mit dem Fußball ist es allerdings vorbei. Ein Freund will ihn daraufhin zum Boxen mitnehmen. Aber boxen will Siegfried Leske nicht. In den Verein Aufbau Zehdenick bringt er sich dennoch als Organisator ein. „Das liegt mir. Das habe ich von meinem Vater“, erzählt er. Eines Tages sei der Kampfrichter-Obmann Alfred Kolktz an ihn herangetreten und habe gesagt: „Du kannst doch auch mal punkten“. Den Ball nimmt er auf und nach zwei Jahren als Punktrichter beginnt seine Karriere als Ringrichter bei ungezählten Wettkämpfen, der Spartakiade und am Ende 14 Länderkämpfen.

Nachdem er wie sein Vater den Beruf Ziegler erlernt und seine ersten Arbeitsjahre auf dem Buckel hat, geht Siegfried Leske 1955 zur Grenzpolizei. Als er nach zwei Jahren entlassen wird, bekommt er eine erste Wohnung in Eisenhüttenstadt, nimmt die Herausforderung als Kreisvorsitzender des gerade im Aufbau befindlichen Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) an. Zu der Zeit hat er durch sein Engagement bei Aufbau Zehdenick schon Erfahrungen in der Öffentlichkeitsarbeit gesammelt und will Sportreporter werden. Rundfunklegende Herbert Küttner ist es, der Siegfried Leske beim Aufnahmegespräch zum Studium einen Strich durch die Rechnung macht. Leskes für Lausitzer typischer nasaler Klang der Stimme passe als Reporter nicht, habe der ihm gesagt. Heute sei er Küttner dankbar, sagt Leske. Als Sportreporter wäre er viel unterwegs gewesen, hätte sich weniger um seine Frau und die zwei Töchter kümmern können. 

Als der spätere Volkskammerpräsident Horst Sindermann aufruft, Arbeiterkinder für Rundfunk und Fernsehen auszubilden, ergreift Siegfried Leske die Chance und absolviert am Institut für Nachwuchsentwicklung für Rundfunk und Fernsehen in Berlin-Grünau eine zweijährige Ausbildung. Als er dann gefragt wird, wo er seinen Platz sehen würde, sagt Leske: „beim Fernsehen.  Er arbeitet bei der Nachrichtensendung Aktuelle Kamera und kann Episode an Episode reihen. Mit Jahren und Namen. Am Ende ist es sein Organisationstalent, dass ihn nicht Reporter oder Redakteur werden lässt. Siegfried Leske baut das Korrespondentennetz des DDR-Fernsehens von Moskau bis Washington mit auf und verantwortet es dann. Damit ist am 31. Dezember 1991 Schluss. Eine Zeit lang arbeitet er noch für das japanische Fernsehen. Dann geht er in Rente. Den Kopf in Sand stecken gibt es für Siegfried Leske nicht. Neuenhagen, in dem er mit seiner Familie seit 1964 lebt, ist jetzt sein Betätigungsfeld. Im Rückblick würde er vieles wieder so machen. Sich engagieren, sich für andere Menschen einsetzen. An erster Stelle steht die Familie. Aber danach ist immer noch ganz viel möglich. Als Rentner für Rentner.

Autor: Siegfried Wagner/Foto: Edgar Nemschok