„Die Leute wollten auch mal etwas Lustiges“


Als Vorsitzende des Frauenchors Neuenhagen hat Ursula Schlosser mit dem erfolgreichen Jubiläumskonzert am 2. Juni 2024 im Bürgerhaus den beeindruckendsten Termin im Jahr schon hinter sich. Das Festkonzert soll auch einen Anlass bieten, auf 30 Jahre Vereinsgeschichte zurückzublicken. 

Sie sind von Anfang an dabei. Wie genau ist der Verein entstanden?

Ursula Schlosser: Ein Mitglied des Neuenhagener Männerchores „Frohsinn 1880“ stellte die Frage, warum Neuenhagen keinen Frauenchor hat. Damit wollte er die Ehefrauen der Männerchormitglieder ein bisschen anstacheln. Und dieser Waldemar Haiduk war erster Tenor und hat alles ins Rollen gebracht und die Frauen motiviert. So ist es überliefert. 


Anstacheln führt ja nicht gleich zur Gründung eines Frauenchores. Wie ging die Geschichte weiter?

Schlosser: Roswitha Lampe war auch mit einem Sänger aus dem Männerchor verheiratet. Sie hat das Heft in die Hand genommen und in den lokalen Medien und im Neuenhagener Echo eine Anzeige geschaltet. Das war ein einfacher Aufruf, wer Lust am Singen hat, sollte sich zum vorgegebenen Datum – es war meines Erachtens an einem Montag im Mai 1994 – im alten Bürgerhaus treffen. Ich habe das damals im jugendlichen Alter von knapp 40 Jahren auch gelesen und bin dann einfach hingegangen. Der gemischte Chor in Strausberg hat mich schon damals sehr gereizt. 


Was hat diesen Reiz ausgemacht?

Schlosser: Ich fand das einfach schön, wie die Mitglieder mit ihrer Chorgarderobe auf die Bühne kamen und gesungen haben. Das hat mich bereits viele Jahre zuvor begeistert. Ich wollte das auch machen, obwohl ich nie richtig gesungen habe, weder im Kinder- noch im Schulchor. Das Interesse kam einfach aus purer Lust. Und das dachten sich anscheinend noch etwa neun weitere Frauen, die bei dem ersten Treffen vorbeikamen.


Bei so einem Start unter Fremden wird ja nicht gleich losgesungen…

Schlosser: Richtig. Wir haben uns erstmal ausgetauscht. Das ging ganz gut, weil mit Klaus Kuschel als Bürgerhaus-Leiter und Waldemar Haiduk ein erfahrener Chorsänger anwesend waren. Dann stand schnell fest: wir wollen einen Chor gründen. Aber Chor geht nicht ohne Chorleiter. Der musste nach diesem ersten Treffen gefunden werden und durch Beziehungen von Klaus Kuschel wurde dann eine Musiklehrerin aus Fredersdorf gefunden. Das war Eva Kainz, die damals schon 74 Jahre alt war. Grundsätzlich war der Altersdurchschnitt der Gründungsmitglieder nicht so alt wie heute. Viele waren zwischen 40 und 50 Jahre alt. Die Gründungsmitglieder Herta Skowronek und Hildegard Grüneberg – die auch auf der Urkunde unterschrieben haben – waren teilweise schon viel älter als 60 Jahre.

 

Der Verein wurde am 31. Mai 1994 gegründet. Das belegt die Gründungsurkunde. Wie ging es dann mit den Proben los?

Schlosser: Wir haben uns in der Veranda des alten Kulturhauses getroffen. Dort war die Akustik nicht ideal. Der Raum war schmal und lang, sodass wir am Fester gesessen haben und gegen die Wand gesungen haben. Das hat unserer Chorleiterin Eva Kainz nicht gefallen, aber im Kulturhaus gab es keine andere Möglichkeit. Dann haben wir die Aula in der Goethe-Grundschule akquirieren können. Das war ein immenser Fortschritt, allein durch die Größe, das Klavier und das Podest. Zudem war dieser Probenraum kostengünstig. 

 

Diese Proben müssen ja gut vorangekommen sein, denn die ersten Auftritte standen schnell an, wie etwa auf dem Oktoberfest 1994. Wann hatte der Chor seine Konzert-Feuertaufe?

Schlosser: Das war am 12. März 1995. Dort haben wir das erste Mal im Bürgerhaus gesungen. Unsere Chorleiterin hat ein tolles gemischtes Programm zusammengestellt. Sie hat auch ihre Musikschüler mit einbezogen. Sie hat aus den 30, 40 Leuten, die wir damals waren, kleine Gruppen zusammengestellt. Es wurden Soli gesungen, ein Duett einstudiert. Letztendlich war es ein super Programm über zwei Stunden mit uns als Chor dazwischen. Das Bürgerhaus war damals richtig voll und alle waren sehr glücklich und zufrieden. Und wir hatten Chorkleidung. Das war ganz simpel mit schwarzem Rock, weißer Bluse und bunten Tüchern.  

 

Die Chorleitung hat die Laien also recht schnell auf Trapp gebracht?

Schlosser: Wir haben uns von Auftritt zu Auftritt verbessert und den Leuten hat es gefallen. Es lief von Anfang an ganz gut. Jedoch hat Eva Kainz diese Aufgabe nach 2 Jahren an Elke Kainz innerhalb ihrer Familie abgegeben, die uns auch nur vorübergehend angeleitet hat. Dann kam mit Johannes Voigt der erste Mann ab September 1996. Er war ein bekannter Chorleiter aus Fredersdorf und hat uns aus der Bredouille geholfen, da wir auch Konzerte vertraglich erfüllen mussten. Er war begeistert, wie engagiert und enthusiastisch wir waren. An ihn wurden dann jedoch anspruchsvollere Aufgaben herangetragen, denen er nicht widerstehen konnte.


Johannes Vogt war auch im Rundfunkchor Berlin tätig und hat durch diese Vernetzung schnell für Ersatz sorgen können…

Schlosser: Richtig. Er hat gesagt: ‚Ich bring Euch jemanden, der ist toll!‘ So übernahm dann im Frühjahr 2000 Seongju Oh die Leitung des Chores. Er kam zu uns, hat sich ans Klavier gesetzt und einzigartig gespielt. Er hat mit uns auf eine ganz andere Art geprobt, als wir es vorher gewohnt waren. So haben wir uns hinsichtlich der Stimmbildung, der Atemtechnik und solchen Dingen verbessert. Unser koreanischer Chorleiter hat uns dann bis Dezember 2009 begleitet. 


Das ist ein langer Weg, den Sie gemeinsam gegangen sind. Was hat Seongju Oh so besonders gemacht?

Schlosser: Er war sehr religiös und hat auch seine Musik darauf ausgerichtet. In dieser Zeit mit ihm haben wir sehr anspruchsvolle Stücke in unser Repertoire aufgenommen, wie beispielsweise Mendelsohn Bartholdy oder Johannes Brahms. Er hat an den Details bis zur Erschöpfung gefeilt. Mit diesen Liedern haben wir ein sehr hohes Niveau erreicht, wenn es etwa um laute und leise Passagen ging. Das war wunderbar und wir konnten damals noch besser als heute A-Cappella singen.

 

Das klingt nahezu perfekt. Gab es keinen Haken?

Schlosser: Einen Haken sicherlich nicht. Aber es kam die leise Kritik auf, dass wir immer so ernst Singen. Die Leute wollten auch mal etwas Lustiges von uns hören und einen fröhlichen Chor auf der Bühne sehen. Dieser konzentrierte Chor kam teilweise verkrampft rüber.  Aber wir haben Seongju Oh gemocht und er wurde von unseren Mitgliedern verehrt.

 

Das Weihnachtskonzert 2009 war sein letztes Konzert mit seinen Schützlingen. Seit Januar 2010 ist Frank Asmis der Leiter des Neuenhagener Frauenchores. Hat er dieses vermeintliche Manko ausmerzen können?

Schlosser: Zunächst einmal war die Suche nach Frank Asmis nicht so einfach. Ich selbst war damals nicht im Vorstand, habe aber dennoch im Internet mit Anzeigen nach Ersatz gesucht. Bis zu sechs Bewerber wurden vorstellig. Doch es gab diverse Gründe, etwa das Honorar, fehlende Klavierbegleitung oder die Verständigung, warum es nicht gleich geklappt hat. Dann haben sich zwei Chorfreundinnen – die auch noch in einem Berliner Chor sangen – an die damalige Vertretung dort erinnert. Das war Frank Asmis. Als er sich dann erstmalig bei uns ans Klavier setzte, dachte ich: das ist es.

 

Hatten alle Chormitglieder dieses Gefühl?

Schlosser: Leider nicht. Geschätzt über die Hälfte der Sängerinnen lehnten Asmis ab. Dies waren zwischenmenschliche Themen, da seine Vita und Kompetenz ausgezeichnet war. Die Nörgeleien nahmen zu, bis wir aufgrund dieser Differenzen 12 Austritte bei 38 Mitgliedern zu dieser Zeit verkraften mussten. Auch eine außerplanmäßige Mitgliederversammlung konnte dies nicht abwenden. Dabei wollte ich nur, dass man ihm wenigstens eine Chance gibt. Damals wussten wir noch nicht, dass diese ausgetretenen Mitglieder in Hoppegarten einen neuen Chor gründen. Aber wir haben die Zähne zusammengebissen, neue Mitglieder geworben.


Und wie ist das jetzt mit dem Thema Fröhlichkeit unter Frank Asmis?

Schlosser: Das Repertoire wurde völlig umgebaut. Die Leute hatten einen Aha-Effekt. Unsere Ausstrahlung wurde plötzlich ganz anders.

 

Unverkrampftes lustvolles Singen kann nicht einfach verordnet werden, um auf der Bühne vor Publikum zu glänzen. Wie funktioniert bei ihnen das Team-Building?

Schlosser: Wichtig sind die Chorwerkstätten. Diese jährlichen Chorwochenenden gibt es bereits seit dem dritten Jahr unseres Vereinsbestehens, um neben den normalen Trainingseinheiten fokussiert und vor allem mehrfach hintereinander zu proben. An derartigen Wochenenden wurde auch der Zusammenhalt gestärkt. Dort wird zwei bis drei Mal am Tag intensiv geprobt. Diese Einheiten stärken auch den Ehrgeiz, noch besser zu werden. Frank Asmis ist dabei größtenteils sehr geduldig mit uns.

 

Wie viele Auftritte haben sie im Schnitt pro Jahr?

Schlosser: Wir sind vier Mal im Jahr in zwei Pflegeheimen mit jeweils einem Frühlings- und Weihnachtskonzert unterwegs. Einmal im Jahr bringen wir uns beim Märkischen Chorfest vom Sängerkreis Märkisch-Oderland ein. Das alljährliche Weihnachtskonzert im Bürgerhaus ist nun auch schon eine lange gepflegte Tradition, wo wir selbst gebackenen Kuchen mitbringen. Und seit einigen Jahren singen wir beim Herbstkonzert zusammen mit der Kantorei Neuenhagen. Das Konzert ist in diesem Jahr übrigens am 13. Oktober. Auch die Einladungen des Neuenhagen Männerchors zu deren Konzerten nehmen wir gerne war. Dann gibt es immer Anfragen zwischendurch, wie in die Hauptstadt oder zu anderen Chorfesten in Brandenburg. Das sind dann etwa acht bis zehn Auftritte im Jahr.

 

In 30 Jahren haben sie sicher viel erlebt. Was sind ihre persönlichen Höhepunkte?

Schlosser: Das Gemeinschaftskonzert mit Kathy Kelly im 20. Jubiläumsjahr im Bürgerhaus war etwas ganz Besonderes. Das war ein ausgesprochenes Highlight. Noch zwei Jahre davor hatten wir die Chance mit dem Don Kosaken Chor zusammen aufzutreten. Auch die Auftritte bei den Bundes- und Landesgartenschauen sind natürlich in Erinnerung geblieben. Mit Seongju Oh hatten wir auch einzigartige Auftritte, etwa im Otto-Braun-Saal am Potsdamer Platz.

 

Nun gibt es in Neuenhagen mit dem jüngst gegründeten Popchor Loud & Proud wieder ein neues Angebot, wenn man gesanglich in seiner Freizeit aktiv werden möchte. Wie finden Sie das?

Schlosser: Im Vorstand haben wir uns das natürlich erst einmal angeschaut. Aber wir empfinden den Popchor nicht als Konkurrenz. Im Gegenteil: letztes Jahr sind wir zusammen beim Weihnachtssingen am Rathaus aufgetreten. Wir fanden das wirklich toll, was sie da gemacht haben. Deshalb stand auch schnell für uns fest, dass wir sie zu unserem Jubiläumskonzert einladen wollen. Grundsätzlich ist es eine Bereicherung für den Ort. Loud & Proud singen Englisch und ohne Noten. Somit ergänzen sich beide Chöre sehr gut. Nur die Probleme sind ähnlich gelagert, wenn ich etwa die Suche nach einem Chorleiter heranziehe. Einen Chorleiter zu finden ist für alle Chöre eine große Herausforderung.

Die Fragen stellte der Mitarbeiter Öffentlichkeitsarbeit.