Glockenturmzwiebel

Oscar Titel´s Kunsttöpferei


Vor einiger Zeit bekam die Gemeinde eine anonyme Spende in Form eines alten Fotos. Das Foto hat etwa das A5-Format und ist auf leichtem Karton aufgeklebt. In Sepia-Farbtönung zeigt es eine Gruppe von Menschen vor einem Fabrikgebäude. Genau genommen sind es 73 Leute, Frauen, Männer und sogar einige Kinder. Die Erwachsenen tragen Arbeitskleidung, teilweise mit Schürzen stehen sie in Viererreihe, auch Kinder und Frauen sind zu sehen. Vor ihnen stehen einige Tonfiguren und Verzierungen sowie eine Tafel auf der zu lesen ist „O. Titels Kunst Töpferei A.G., Neuenhagen 1894.“ Wer war dieser Oskar Titel und was verbirgt sich hinter Kunsttöpferei und wer sind diese Leute auf dem Foto? 

Fotografische Geschichtsreise zur Neuenhagener Handwerkskunst: Das Foto entstand im Jahr 1894 (Fotos: Archiv Kai Hildebrandt)


Die Geschichte beginnt 1820 in Berlin mit der Gründung der Firma durch Carl Ferdinand Titel. Anfangs noch in bescheidenem Umfang, vergrößert sich das Unternehmen 1840 unter der Regie des Sohnes durch Um- und Neubauten sowie Ankäufe von Grundstücken. Die dritte Generation unter Oskar Titel beginnt 1872 eine Liaison mit Neuenhagen, genaugenommen ist es aber eher Bollensdorf. Kurz hinter der Ostbahn, ungefähr dort wo heute Edeka ist, kauft das Unternehmen ein rund 10 Hektar großes Grundstück mit einem ergiebigen Tonvorkommen. Ebenfalls lässt die Firmenleitung ein Produktionsgebäude an der Ostbahn errichten, das – wenn auch umgebaut – noch heute erkennbar ist. Am Tonlager selbst wird eine Tonschlämmerei errichtet, die mittels Dampfmaschine angetrieben und durch eine Konstruktion sowie Zugabe von Wasser den Ton vom Sand trennt. Eine weitere dort aufgestellte Maschine dient zur Herstellung von Formsteinen; ein teilweise unförmiger Stein der beispielsweise für Mauerwerksbögen benötigt wurde. Des Weiteren gibt es einen dem Gutsbesitzer Kelch gehörender Schienenstrang. Dieser beginnt am Tonbruch, hat eine Verbindung mit den Gleisen der Ostbahn und ermöglicht somit einen schnellen Abtransport der Steine.

Im Jahr 1885 wandelt sich die Firma in eine Aktiengesellschaft um. Die von ihr gefertigten Öfen sind teilweise mit aufwendigen Verzierungen versehen, handbemalt und vereinzelt sogar vergoldet. Diese Handwerksleistung spielt mehrere Preise auf Ausstellungen ein. Zum weiteren Angebot zählen Kamine, Heizregisterbekleidungen und Kachelbadewannen. 1894 umfasst die Firma 300 Angestellte, wovon 96 in Neuenhagen beschäftigt sind. Auch hat das Unternehmen seinen Firmensitz und einen großen Teil seiner Produktion nach Neuenhagen verlegt. Neben dem Titel Hoflieferant ist die Firma auch Bezugsquelle für sämtliche königlichen Dienstgebäude und für die Ministerien. 

Um 1900 erwirbt da Unternehmen die Töpferei Gustav Durin in Fürstenwalde, die auch Tonwerke in Rüdersdorf besitzt. Verlust auf Forderungen, im Preis gestiegenes Rohmaterial, Konkurrenz und Absatzschwierigkeiten führen dazu, dass auf der Generalversammlung des Vorstandes im September 1907 die Liquidation des Unternehmens beschlossen wurde. Durch den Verkauf der Warenbestände versucht man die anfallenden Schulden gering zu halten beziehungsweise zu tilgen. Während die Grundstücke in Berlin bereits verkauft wurden, vermietet man die ehemaligen Produktionsräume in Bollensdorf und hofft auf ein Kaufangebot für das dortige rund 20 Morgen große Gelände. 1913 ist in Fürstenwalde der Kaufmann Hans Koehler tätig. Unter der Bezeichnung „O. Titel´s Kunsttöpferei, Inh. Hans Koehler“ vertreibt er Schmelz- und Schamotteöfen. Letztendlich wird auch das Grundstück in Neuenhagen verkauft. Nachnutzer ab 1917 ist der Fabrikant „August Teuber, Apparate-, Metall- und Blechwarenfabrik, Anfertigung von Massenartikeln“. 1932 wechselt der Besitzer abermals. Bis Kriegsende und Enteignung hat dort die Firma „Industrie-, Bergwerks- und Bahnbedarf GmbH“ ihren Sitz. 

Noch einige Zeit erinnert der Titelsweg, der vom Bahnübergang zu den Produktionsgebäuden verläuft, an die einstigen Besitzer. Nach dem Krieg hat dann das Landtechnische Instandsetzungswerk (LIW) dort seinen Platz und nutzt zum Teil die früheren Gebäude der Firma Titel oder baut diese dann um beziehungsweise aus. Die ehemaligen Tongruben lässt man nach dem Verkauf voll Wasser laufen und verpachtet diese. Unter den Einheimischen ist dies ein Insider-Tipp zum Baden. Heute sind diese immer noch voll Wasser, als stille Zeugen der einstigen Zeit.