Glockenturmzwiebel

Flussbadeanstalt mit Badehosenverleih – das erste Neuenhagener Freibad


Die Neuenhagener Freibadsaison wurde Mitte September beendet. Eine gute Gelegenheit, um einmal auf das erste Neuenhagener Freibad zurückzublicken. Zweifelsohne gab es auch vor dem Freibad in Neuenhagen und in Bollensdorf Badestellen. Von meiner Mutter weiß ich, dass ihr Ort zum Baden als Kind der Torfstich fast neben der 1400 m Geraden im Wald neben der Rennbahn war. Mein Vater lernte einst das Schwimmen im großen Teich im Hellpfühle-Park und wiederum andere badeten im Mühlenfließ. 

Doch es gab bereits 1903 in Neuenhagen eine Badeanstalt. Am 8. Mai 1903 schickte der Vorsitzende des „Bade-Verein Neuenhagen a. d. Ostbahn“, Ludwig Böhm, seinen Antrag zur Erbauung einer Badeanstalt nebst Badebetrieb für den Badeverein an den Amtsvorstand zu Neuenhagen. Eine Zeichnung vom 31. Mai 1903 zeigt das geplante Vorhaben auf dem 298 Quadratmeter großen Grundstück an der Fließbrücke in der Niederheidenstraße. Am Fließ anliegend befand sich der „Einlauf“. Da es sich hier um eine Flussbadeanstalt handelte wurde das Schwimmbecken mit Wasser aus dem Fließ gespeist. Auf der Seite zur Rennbahn zeigt die Zeichnung einen Auslauf des Beckens. Das Wasser floss durch das Becken und reinigte sich damit selbst. Die Form des Beckens ähnelt einem Trapez: 19 Meter lang an der Straßenseite, 14,30 Meter zur Grünstraße, 10 Meter zum Fließ und die beiden abgewinkelten Seiten zur Rennbahn 5,70 Meter und 11 Meter. Leider verrät nichts die Tiefe des Beckens. Auf der Seite zur Grünstraße gab es diverse Bauten. Diese enthielten Räumlichkeiten für den Bademeister, einem Vorraum, drei Umkleidekabinen, eine Halle, einem Umkleideraum für Kinder und eine Toilette. 

Finanziert wurde der 3200 Mark teure Bau durch Anteilsscheine. Die Namen der Anteilsinhaber zeigen die Namen bekannter Neuenhagener Einwohner. August Quast, Georg Liesegang, Wilhelm Bürger, Rudolph Hillerscheidt oder August Abendroth, um nur einige zu nennen. Automatisch war jeder der einen Anteilsbeitrag von 25 Mark bezahlte auch Mitglied im Bade-Verein. 1903 bestand der Vorstand aus dem Vorsitzenden Ludwig Böhm, dem Stellvertreter Georg Reimann (jener bewirtschaftete als Gastwirt das Schweizer Häuschen), Schriftführer war Kaufmann August Quast, Kassierer war Klempnermeister Julius Huth sowie den Beisitzern August Schmäcke, Max Wilzopolski und Carl Schöne. 

Das alte Becken um 1921, also kurz vor dem Abriss. Quelle: Archiv Kai Hildebrandt


Im Jahr 1912 beantragt der Verein die kostenlose Übernahme der Badeanstalt durch die Gemeinde, die den Antrag einstimmig annimmt. Im selben Jahr beschließt man auch, das Bad für 3.000 Mark neu herzurichten. Aus den drei eingegangenen Kostenangeboten erhält der Bauunternehmer Adolph Mothes den Zuschlag. Neben Erneuerungen am Becken stehen diverse Arbeiten und Neueinfassungen am Rand an. Augenscheinlich sind die Arbeiten im Juli beendet.

In der Sitzung der Gemeindevertretung entscheidet man sich auf eine Verpachtung des Bades. Erster Pächter wird der Kaufmann Wladislaw Malich. Interessant liest sich die Preisliste, die die Gemeinde beschließt. Einzelbad eines Erwachsenen 10 Pfennig, Kinder unter 14 Jahren 5 Pfennig. Neben Abonnementkarten verrät die Liste auch Preise etwa für das Leihen einer Badehose, in dem Fall 5 Pfennig. Aber auch das Badetuch, dass überlassen einer An- und Auskleidezelle, die Aufbewahrung des Badezeuges in der Badezeit oder das Erteilen von Schwimmunterricht sind hier preislich festgelegt. Die Rückseite enthält das Reglement für die Gemeinde-Badeanstalt und auch die Öffnungszeiten. Morgens von 10 bis 14:45 Uhr für Männer und Kinder, von 15 bis 18 Uhr für Damen und abends von 18 bis 21 Uhr nur für Männer. Wie die Dokumente verraten, gab es auch eine gastronomische Versorgung. Eine Schankkonzession, also eine Berechtigung zum Ausschank von Getränken, wird verlangt, ebenso eine Regelung für den Einkauf der Getränke und sonstigen Waren. 

Bereits zwei Jahre nach Malich wird ein neuer Pächter gesucht. Interessenten sind unter anderen der Gastwirt Wenzel Lindner und der Kaufmann Max Hilcken. Den Zuschlag bekommt jedoch der Musiklehrer Franz Albrecht. Sehr interessant ist der im Vertrag angegebene §6. Hier heißt es: „Während der Badezeit für Damen hat sich der Pächter aus der Badeanstalt zu entfernen und eine Frau während dieser Zeit als seine Vertreterin einzustellen.“ Passend hierzu schreibt der Chronist Paul Tramp: „Die erste öffentliche Neuenhagener Badeanstalt gleich unterhalb der Niederheidenbrücke (…) mit dichtem Bretterzaun umgeben, war schon jahrzehntelang niemals ausreichend. Die Bewunderer körperlicher Frauenschönheit mussten sich dazumal mit Blicken durch Ritzen und Astlöcher begnügen, denn getrennt waren die Badezeiten der Geschlechter. 

Familie Dotti beim gemeinsamen Bad in der Badeanstalt. Bildquelle: Archiv Anna-Ditzen-Bibliothek


Im Jahr 1919 schreibt man abermals die Einrichtung zur Verpachtung aus. Neuer Pächter wird dieses Mal eine Frau, Anna Graul. Auch der Vertrag erhält eine Erweiterung. In §2 heißt es: „(...) und den mit Erlaubnisschein versehenen hiesigen Schulkindern das Baden unentgeltlich von 2 bis 4 Uhr nachmittags zu gestatten.“ Nur ein Jahr währt dieser Vertrag. Mehrere Mängel zeigen sich und erfordern erneut eine Reparatur. Noch einmal wird die Pacht 1920 neu ausgeschrieben. Ein Jahr später folgt das Aus der Badeanstalt. Eine Notiz berichtet vom erfolgten Abbruch (Abriss) des Beckens im Juli 1922. Die letzten Eintragungen beziehen sich auf die Verpachtung des durch den Abriss entstandenen Teiches. Vierzehn Jahre später öffnete das neue Freibad seine Pforten, aber das ist wieder eine neue Geschichte.